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Blut schoss aus den beiden punktförmigen Bisswunden am Hals der jungen Frau in Dantes Mund. Er trank in tiefen, gierigen Zügen, unfähig, den wilden Teil in ihm zurückzuhalten, der nur Trieb und Verzweiflung kannte. Es war das Leben selbst, das auf seiner Zunge pulsierte und seine ausgedörrte Kehle hinabrann, seidig, zimtig süß -  und warm, so warm.

Vielleicht war die Stärke seiner Gier der Grund dafür, dass ihr Geschmack ihm so unvergleichlich vorkam. Sie war unglaublich, perfekt, vollkommen. Was immer der Grund war, es war ihm gleich. Er trank von ihr, mehr und mehr, er brauchte ihre Wärme, jetzt, wo er durchgefroren war bis ins Mark.

„O Gott, nein!“ Die Stimme der Frau war heiser vor Angst.

„Bitte! Lassen Sie mich los!“

Sie klammerte sich reflexartig an seine Schultern, ihre Finger krallten sich in seine Muskeln. Doch der Rest ihres Körpers wurde in seinen Armen langsam ruhig, die hypnotische Macht seines Bisses wiegte sie in eine willenlose Trance. Sie seufzte tief und lang, ihr Körper wurde schwer und schlaff. Er ließ sie unter sich auf den Boden gleiten und nahm sich die Nahrung, die er so dringend brauchte.

Jetzt spürte sie keine Schmerzen mehr. Nicht, seit seine Zähne ihre Haut durchbrochen hatten, das war ein scharfer Schmerz gewesen, der aber schnell nachgelassen hatte. Der einzige Schmerz, der jetzt noch existierte, war Dantes Schmerz. Sein Körper zitterte von der Schwere seiner Verletzungen, von der Gehirnerschütterung dröhnte ihm der Kopf, sein Rumpf und seine Gliedmaßen waren an so vielen Stellen verwundet, dass sie nicht zu zählen waren.

Es ist gut. Hab keine Angst.

Du bist in Sicherheit. Ich verspreche es dir.

Er schickte ihr diese beruhigenden Gedanken, selbst als er sie noch fester gepackt hielt, sie noch fester in den Käfig seiner Arme schloss, sein hungriger Mund noch härter an ihrer Wunde saugte.

Trotz der Wildheit seines Durstes, die von der Schwere seiner Verletzungen noch gesteigert wurde, war es die Wahrheit. Außer dem ersten Biss, der sie so erschreckt hatte, würde er der jungen Frau kein Leid antun.

Ich nehme mir nur, was ich brauche. Dann werde ich gehen, und du wirst mich vergessen.

Schon spürte er, wie seine Kraft zu ihm zurückkehrte. Zerrissenes Fleisch begann von innen heraus zu heilen. Schuss- und Splitterwunden schlossen sich.

Verbrennungen wurden kühl und verblassten.

Seine Schmerzen ließen nach.

Jetzt zwang er sich, langsamer zu trinken. Dabei raubte ihr Geschmack ihm fast den Verstand. Die exotische Note im Duft ihres Blutes hatte er schon beim ersten Zug bemerkt, aber nun, als sein Körper sich verjüngte und seine Sinne mit voller Kraft zu ihm zurückkehrten, konnte Dante nicht anders, als die Süße seiner unfreiwilligen Blutwirtin zu kosten und zu genießen.

Und die ihres Körpers.

Unter dem formlosen Laborkittel ahnte er schlanke, starke Muskeln und lange, graziöse Glieder. Kurven an den richtigen Stellen. Dante spürte, wie ihre weichen Brüste sich an seinen Oberkörper pressten, wo er sie auf den Boden des Lagerraumes gedrückt hielt, ihre Beine mit seinen verschlungen. Ihre Hände ruhten immer noch auf seinen Schultern, schoben ihn aber nicht mehr fort, sondern hielten sich an ihm fest, als er einen letzten Schluck von ihrem lebensspendenden Blut nahm.

O Gott, sie war so unbeschreiblich köstlich, er hätte die ganze Nacht von ihr trinken können.

Und noch mehr als das, dachte er, als er seine Erektion spürte, die sich hart und verlangend an ihre Hüften presste. Sie fühlte sich unter ihm einfach zu gut an. Sein rettender Engel -  wenn sie es auch nicht freiwillig geworden war.

Dante atmete ihren würzig-süßen Duft ein und hauchte einen zarten Kuss auf die Wunde, die ihm eine zweite Chance gegeben hatte.

„Danke“, flüsterte er an ihrer warmen, samtweichen Haut.

„Du hast mir gerade das Leben gerettet.“

Sacht fuhr er mit der Zunge über die kleinen Bisswunden und verschloss sie, beseitigte alle Spuren seines Bisses. Die junge Frau stöhnte und begann sich aus ihrer vorübergehenden Erstarrung zu lösen. Sie bewegte sich unter ihm, das leichte Räkeln ihres Körpers steigerte nur Dantes Verlangen, in ihr zu sein.

Aber heute Nacht hatte er schon genug von ihr genommen.

Obwohl sie sich an nichts erinnern würde, käme er sich schäbig vor, sie hier mitten in einer Pfütze aus brackigem Flusswasser und seinem gerinnenden Blut zu verführen. Wo er ihr doch schon wie ein Tier an den Hals gegangen war.

Er verlagerte sein Gewicht, ließ sich etwas von ihr heruntergleiten und berührte mit der rechten Hand ihr Gesicht. Sie zuckte zusammen, kein Wunder, dass sie Angst hatte. Ihre Augen waren nun offen -  Augen, die ihn bannten, in denen er versinken konnte, von einem makellosen, tiefen Ultramarinblau.

„Mein Gott, wie schön du bist“, murmelte er. Worte, die er in der Vergangenheit unzähligen Frauen gegenüber hatte fallen lassen, aber wirklich ernst gemeint hatte er sie noch nie -  bis zur heutigen Nacht. Das war erstaunlich.

„Bitte“, flüsterte sie, „tun Sie mir nicht weh.“

„Nein“, sagte Dante sanft. „Ich werde dir nicht wehtun.

Schließ einfach die Augen, mein Engel. Es ist fast vorbei.“

Ein kurzer Druck seiner Handfläche auf ihrer Stirn, und sie würde ihn vergessen.

„Es ist alles in Ordnung“, sagte er zu ihr, als sie vor seiner Hand zurückschrak, ihre Augen seinem Blick begegneten, als erwartete sie, von ihm geschlagen zu werden. Und irgendwie auch herausfordernd. Mit der Zärtlichkeit eines Liebhabers strich Dante ihr das Haar aus dem Gesicht zurück. Er spürte, wie ihre Anspannung stieg. „Entspann dich. Du kannst mir vertrau…“

Etwas Spitzes stach ihn in den Oberschenkel.

Mit einem wütenden Aufbrüllen drehte Dante sich fort, rollte sich auf den Rücken. „Was zum Teufel …?“

Hitze strahlte von der Stelle aus, an der er gestochen worden war, brannte sich durch seinen Körper wie Säure. Ein bitterer Geschmack sammelte sich hinten in seinem Gaumen, und dann verschwamm ihm alles vor den Augen. Dante versuchte, sich vom Boden aufzurichten, aber dann sank er wieder zusammen, seine Glieder so unkooperativ, als wären sie plötzlich aus Blei.

Keuchend, die hellen blaugrünen Augen voller Panik, betrachtete ihn sein rettender Engel, ihr hübsches Gesicht flimmerte ihm wild vor den Augen. Sie presste eine schlanke Hand an den Hals, dort, wo er sie gebissen hatte. Die andere hielt sie auf Schulterhöhe, und darin, die Knöchel vor Anspannung weiß, umklammerte sie eine leere Einwegspritze.

Himmel.

Sie hatte ihn betäubt.

Aber so schlimm das auch war, Dante registrierte etwas noch Schlimmeres, als sein immer mehr verschwimmender Blick versuchte, sich auf die kleine Hand zu konzentrieren, die es geschafft hatte, ihn mit einem Schlag niederzustrecken. Dort, wo die weiche Haut sich zwischen Daumen und Zeigefinger spannte, hatte die junge Frau ein kleines Muttermal.

Von tiefem, dunklem Purpurrot, kleiner als ein Zehncentstück, in der Form einer Träne, die in die Wiege eines zunehmenden Mondes fiel. Ein Anblick, der sich tief in Dantes Gehirn einbrannte.

Es war ein seltenes Muttermal, ein genetischer Stempel, der bedeutete, dass die Trägerin Dantes Rasse heilig war.

Sie war eine Stammesgefährtin.

Und mit ihrem Blut, das jetzt in Dante pulsierte, hatte Dante nun eine Hälfte eines feierlichen Bundes geschlossen.

Nach dem Recht der Vampire gehörte sie nun zu ihm.

Unwiderruflich.

Für immer und ewig.

Das Letzte, was er wollte oder brauchte.

Dante brüllte innerlich auf. Aber alles, was davon zu hören war, war nur ein tiefes, wortloses Knurren. Er zwinkerte stumpf, versuchte nach der jungen Frau zu greifen und verfehlte sie um gut zwanzig Zentimeter. Schwer fiel sein Arm herab, als wäre er mit eisernen Gewichten beschwert. Auch seine Augenlider waren zu schwer, um sie mehr als spaltweit offenzuhalten. Er stöhnte und sah zu, wie die Züge seiner Retterin vor seinen Augen verschwammen.

Sie starrte auf ihn hinunter, ihre Stimme bebte vor unterdrückter Wut.

„Träum süß, du psychotisches Arschloch!“

 

Tess trat von ihrem Angreifer zurück, ihr Atem ging schwer und heftig. Sie konnte kaum glauben, was da eben mit ihr geschehen war. Und dass sie es geschafft hatte, dem wahnsinnigen Eindringling zu entkommen.

Dem Herrn sei Dank für die Betäubungsspritze, dachte sie, erleichtert, dass sie die Geistesgegenwart besessen hatte, sich an den Inhalt ihrer Kitteltasche zu erinnern. Ganz zu schweigen von der Kaltblütigkeit, diese Waffe auch wirklich einzusetzen. Sie sah den leergedrückten Plastikkolben an, den ihre Finger immer noch krampfhaft umklammerten, und verzog das Gesicht.

Mist. Sie hatte ihm die volle Dosis verpasst.

Kein Wunder, dass er so schnell zusammengeklappt war. So schnell würde der auch nicht wieder aufwachen. Tausendachthundert Milligramm Tiernarkotika waren selbst für einen Riesenkerl wie ihn ein Gutenachtkuss, der es in sich hatte.

Plötzlich spürte sie einen Anflug von Sorge.

Was, wenn sie ihn umgebracht hatte?

Eigentlich war ihr nicht klar, warum sie sich Sorgen machen sollte wegen jemandem, der ihr noch vor wenigen Minuten den Hals mit den Zähnen aufreißen wollte. Und trotzdem näherte sie sich ihm wieder vorsichtig.

Er bewegte sich nicht.

Aber sie stellte mit Erleichterung fest, dass er noch atmete.

Er lag auf dem Rücken, die muskulösen Arme ausgestreckt, so wie sie niedergesunken waren. Seine Hände -  diese riesigen Pranken, die bei seinem Angriff mit solch brutaler Stärke zugepackt und festgehalten hatten -  waren nun schlaff und ruhig.

Sein Gesicht, fast verdeckt von seinem länglichen dunklen Haar, war nun, da es entspannt war, fast gut aussehend zu nennen.

Nein, er war nicht gut aussehend, denn sogar jetzt, wo er bewusstlos war, blieben seine Züge hager und kantig. Gerade schwarze Augenbrauen lagen über seinen geschlossenen Augen wie dunkle Messerschnitte. Seine Wangenknochen waren scharf gewinkelt und gaben seinem Gesicht ein raubtierhaftes Aussehen. Seine Nase war vielleicht einmal perfekt gewesen, aber von einem alten Bruch war der schmale Nasenrücken leicht abgeknickt.

Vielleicht mehr als einem Bruch.

Er hatte etwas seltsam Anziehendes an sich, obwohl sie ganz sicher war, dass sie ihn nicht kannte. Er war nicht direkt der Typ Mann, mit dem sie sonst Umgang pflegte, und der Gedanke, dass er mit einem Haustier zu ihr in die Klinik kommen könnte, hatte etwas Absurdes.

Nein, vor heute Nacht hatte sie ihn noch nie in ihrem Leben gesehen. Sie konnte nur beten, dass sie ihn auch nie wieder sehen würde, wenn erst einmal die Polizei gekommen war und ihn mitgenommen hatte.

Tess sah hinab und bemerkte ein Aufschimmern von Metall unter seiner durchweichten Jacke. Sie zog das Leder zur Seite und holte scharf Luft -  unter seinem Arm steckte in einer Scheide eine geschwungene Messerklinge. Auf der anderen Seite trug er ein Halfter, vermutlich für eine Pistole, aber es war leer. Und der breite, schwarze Gürtel, den er um seine schlanken Hüften trug, war gespickt mit Handwaffen.

Dieser Mann war ein wandelndes Sicherheitsrisiko, so viel war sicher. Ein Gangster, gegen den die abgebrühten Kerle hier am Flussufer die reinsten Waisenknaben waren. Dieser Mann wirkte knallhart und tödlich, alles an ihm roch nach Gewalt.

Das einzig Weiche an ihm war sein Mund. Weit und sinnlich, die Lippen in seiner Betäubung leicht geöffnet, war sein Mund auf profane Weise schön. Es war die Art von Mund, die eine Frau zum Schmelzen bringen konnte.

Nicht, dass Tess für den Typ etwas übrighatte.

Und sie hatte auch die Fangzähne nicht vergessen.

Trotz der schweren Dosis Betäubungsmittel in seinem Blutkreislauf bewegte sich Tess mit extremer Vorsicht. Sie hob seine Oberlippe an, um sich das näher anzusehen.

Keine Reißzähne.

Nur eine Reihe perfekter, perlweißer Zähne. Wenn er bei seinem Angriff ein Plastikgebiss getragen hatte, dann hatte das aber verdammt echt ausgesehen. Nun schien es, als hätten sich diese riesigen Reißzähne einfach in Luft aufgelöst.

Was überhaupt keinen Sinn ergab.

Schnell untersuchte sie den Boden, doch da war nichts. Kein ausgespucktes Vampirgebiss lag herum. Und sie hatte sich das weiß Gott nicht eingebildet.

Wie sonst hatte er ihren Hals öffnen können, als wäre er eine Limodose? Tess tastete nach ihrer Bisswunde. Die Haut unter ihren Fingerspitzen fühlte sich glatt an. Kein Blut, nichts Klebriges, keine Spur von den Löchern, die er ihr in die Halsschlagader gebohrt hatte. Sie tastete die ganze Seite ab. Die Haut war nicht einmal empfindlich.

„Das ist doch unmöglich. Das gibt’s doch nicht.“

Tess stand auf, eilte in den nächstgelegenen Untersuchungsraum und knipste alle Lichter an. Sie strich ihr Haar vom Hals zurück und betrachtete ihr Spiegelbild im matten, rostfreien Stahl des Papiertuchspenders, der an der Wand hing. Die Haut an ihrem Hals war völlig unversehrt.

Als hätte dieser schreckliche Angriff nie stattgefunden.

„Das gibt’s doch nicht“, wiederholte sie zu ihrem verdatterten Spiegelbild. „Wie kann das sein?“

Fassungslos trat sie von ihrem Behelfsspiegel zurück.

Sie war vollkommen durcheinander.

Vor weniger als einer halben Stunde hatte sie noch um ihr Leben gebangt, hatte gespürt, wie der schwer bewaffnete, schwarz gewandete Fremde, den sie fast bewusstlos an der Hintertür ihrer Klinik gefunden hatte, ihr das Blut aus dem Hals saugte.

Es war  passiert.

Also wie um alles in der Welt konnte es dann sein, dass ihrer Haut nichts anzusehen war, nicht die winzigste Spur eines Angriffs?

Tess’ Füße fühlten sich wie Fremdkörper an, als sie aus dem Untersuchungsraum zurück zum Lagerraum ging. Was immer der Typ mit ihr gemacht hatte, wie auch immer er es geschafft hatte, die Wunden zu beseitigen -  Tess wollte, dass er verhaftet wurde und vor Gericht kam.

Sie kam an der offenen Tür zum Lagerraum vorbei und blieb abrupt stehen.

Die Pfütze aus Flusswasser und Blut, die der Angreifer hereingebracht hatte, bedeckte einen großen Teil des Linoleumfußbodens. Bei dem Anblick wurde Tess ein wenig schwach im Magen, aber da war noch etwas anderes, das ihr Innerstes in eisigem Schrecken zusammenfahren ließ.

Der Lagerraum war leer.

Der Mann war fort.

Eine Betäubungsmitteldosis, die einen Gorilla in Schlaf versetzt hätte, und trotzdem war er irgendwie aufgestanden und verschwunden.

„Suchst du mich, Engelchen?“

Tess fuhr herum und schrie.

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